Funktionen des Gehirns
Alles hat eine Funktion. Die Angst. Die Depression. Die Allergie. Die Adipositas.
In einer vom Verstand determinierten Welt ist die Versuchung verständlich, besonders die unerwünschten Phänomene aus der Welt zu schaffen.
Angst, Depression, Aggression, Allergie, Adipositas, Erschöpfungszustände: Wenn Phänomenen mit dem Verstand kein Funktionszusammenhang zugewiesen werden kann, werden sie schnell als überflüssig – als einseitig negativ-konnotiert behandelt, bekämpft, zu beseitigen versucht. Ein verdeckt – weil dem Verstand in der Großhirnrinde verborgener – bestehender Funktionszusammenhang bliebt dabei bestehen und wirkt fort: bei einer Angst möglicherweise ein im Leben des Patienten einst lebensrettendes, jedoch heute nicht mehr notwendiges Muster, bei der Depression eine von Herzen kommende, jedoch mit dem Verstand nicht analysierbare Ausdrucksform unerfüllter Anliegen oder nicht gelebter Trauer, bei der Allergie eine lebensnotwendige Reaktion auf Giftstoffe, s. Artikel im SPIEGEL, bei der Adipositas ein Mittel zur Regulation von Nähe und Distanz, von Erfüllung, von Loyalität usw.
Die Eigendynamik eines unwillkürlichen Ablaufes kümmert sich nicht um Anweisungen des Verstandes
So verschieden die beschriebenen Phänomene (Symptome genannt) auch sind – eines haben sie gemeinsam: Verborgene Funktionszusammenhänge können eine starke Eigendynamik (dann vom Verstand als Therapieresistenz oder Verschlimmerung bezeichnet) entwickeln, gerade dann, wenn ein folgerichtiges Resultat der Funktion (ein Symptom, z.B. ein Angstzustand) einseitig wegtherapiert werden soll. Der Funktionskreislauf bleibt bestehen, das System kann darüber sogar eskalieren. Auch der psychologisch geschulte Verstand kann nur einen kleinen Teil jener Kreisläufe erfassen, die auf unwillkürliche Weise ablaufen. Sobald sie auf der Mittelhirnebene betrachtet und in ihrem klugen Zusammenhang gesehen werden, verlieren sie ihren Schrecken und ihre Belastung wie von alleine (so unwillkürlich, wie sie entstanden sind) und können ins Leben integriert werden.
Was bereitet mehr Angst als die Idee, ein Leben lang ohne Angst leben zu müssen?
Kann etwas kann mehr deprimieren als der Anspruch, dauerhaft erfolgreich gegen Phasen der Niedergeschlagenheit und der Erschöpfung ankämpfen zu müssen?
Gibt es eine größere Belastung, als beim einseitigen Blick auf Kalorientabellen, Diätpläne und die Waage die Verbindung zu jenen Umständen immer mehr zu verlieren, die im Leben endlich mehr Gewicht bräuchten?
Allergisch wirkende Reaktionen (phobische, aggressive u.a. Muster) auf bestimmte Situationen, auf Verhaltensweisen bzw. auf Mitmenschen erfüllen wie die über Allergene erklärbaren Allergien eine Schutzfunktion. Weiter nichts. In einer mittelhirnintegrierenden Therapie wäre zu explorieren, was zu schützen ist, wie es zu schützen wäre und wie es sich aus der Sicht der Betroffenen auswirken würde, wenn der Schutz künftig sichergestellt werden könnte. Allein dies – und das ist durch Erfahrungen in der Therapie belegt – kann bereits eine gewünschte Veränderung bahnen.
Der Verstand und das Mittelhirn in respekt- und rücksichtsvollem Miteinander: Idealbedingungen für ein gelingendes Leben
Eine für die Klienten günstige Zukunft von Psychotherapie und Psychiatrie liegt in der Vergegenwärtigung der Tatsache, daß der Verstand niemals der Befehlshaber im System sein kann, sondern eher ein Fragender, ein Wegbereiter, ein Gestaltungspartner und Berichterstatter für die unendlich reichen, enorm flexiblen und dem Menschen dienen wollenden Potentiale im Unwillkürlichen (auf der Mittelhirnebene), das sich in erster Linie sprachlos über körperliche Phänomene äußert: sprachlos und stets im Klartext.
Mittelhirnfreunde kann als i.V. verstanden werden: als innerer Verein, den die verschiedenen Seiten der Persönlichkeit gründen. Dieser Verein kann es zum Vereinszweck erklären, die vielfältigen Erfahrungen aus der Mittelhirnregion zu nutzen und dem Großhirn immer wieder zur Verfügung zu stellen, wenn es natürlicherweise damit überlastet ist, alles alleine auf der Verstandesebene regeln zu wollen.
Selbstverständlich können dem Mittelhirn i.V. alle natürlichen Personen und Persönlichkeitsanteile – diese sogar einzeln – beitreten. Es kann bereits eine interessante Erfahrung sein, wenn zunächst für den Anfang eine besonders vorsichtige innere Seite dem Mittelhirnfreunde i.V. beitritt, um zu prüfen, wie es sich auswirkt, aus dem Mittelhirn kommende Bilder, Filmsequenzen, Erfahrungen, Empfindungen als unwillkürlich und schnell anzuerkennen und sie dann zu nutzen, statt sich verstandesmäßig gegen sie aufzulehnen.
Mittelhirn i.V. ist das Ergebnis eines Mittelhirnprozesses; da wurde offenbar ein Antrag gestellt, das unwillkürlich stattfindende Brauchtum der tieferen Hirnregionen in den gesamten Wahrnehmungs- und Handlungsalltag zu integrieren. Mit dem Verstand kommt man auf so etwas nicht: was erfreulicherweise erneut auf seine Grenzen hinweist.