So gut helfen „Anonyme Alkoholiker“ mit klinischen 12-Schritt-Förderprogrammen bei Alkoholabhängigkeit
Alkoholismus ist ein globales Problem. Die Anonymen Alkoholiker (AA) begleiten im Rahmen der Selbsthilfe weltweit Menschen in die Abstinenz und stabilisieren sie.
Die Cochrane Collaboration erläutert im Cochrane-Review 2020 (veröffentlicht am 11.03.2020 in der Cochrane-Bibliothek), dass das Selbsthilfeprogramm der Anonymen Alkoholiker (AA) in Verbindung mit klinischen Zwölf-Schritte-Förderprogrammen gegenüber kognitiven Verhaltenstherapie (CBT) bessere Wirksamkeit zeigen kann.
27 ausgewertete Studien mit über 10.000 Teilnehmern
Für den Cochrane-Review 2020 wurden 27 Studien mit mehr als 10.000 Teilnehmern ausgewertet. Das Ergebnis: Die Teilnahme an AA-Treffen hilft Alkoholabhängigen wirksam, auf Dauer abstinent zu bleiben. Dieser Effekt hängt wesentlich von gut geplanten Zwölf-Schritte-Förderprogrammen ab. Diese Förderprogramme unterstützen die dauerhafte Teilnahme an den AA-Treffen.
Alkoholismus – ein globales Problem, für das es weltweit wirksame, lokale Selbsthilfe gibt: die Anonymen Alkoholiker
Alkoholabusus (über einen langen Zeitraum regelmäßiges, übermäßiges Konsumieren von Alkohol) führt häufig zur Alkoholabhängigkeit. Der Alkoholismus ist weltweit stark verbreitet. Er sorgt für erhebliches Leid bei Alkoholkranken und in ihrem familiären und beruflichen Umfeld. Die finanziellen und persönlichen Gesamtkosten für die Gesellschaft, die Gesundheitssysteme und die Wirtschaft sind exorbitant hoch. Es leben viele Alkoholiker unerkannt in der Mitte der Gesellschaft.
Dauerhafte Nüchternheit und Abstinenz sind die obersten Ziele bei den AA
In den Vereinigten Staaten gründeten sich nach dem Prinzip der Selbsthilfegruppen die Anonymen Alkoholiker (AA). Seit der Gründung berichten die AA-Teilnehmer von ihren überwiegend guten Erfahrungen. Der AA-Cochrane-Report 2020 hat in einer Metaanalyse insgesamt 27 Studien zu den Anonymen Alkoholikern untersucht.
Ergänzung supervision-ffm.com: Bei genauer Betrachtung stellt sich heraus: Die AA behandeln nicht die Alkoholabhängigkeit selbst, wie man eine Krankheit ausheilt. Die Abhängigkeit bleibt in der Regel bestehen. Was die AA leisten, ist etwas anderes: Bei den Treffen der Anonymen Alkoholiker lernen Alkoholkranke im Setting der Selbsthilfegruppe ein Leben in Abstinenz. Bei weiterhin bestehender Abhängigkeit. Dies dürfte auf der systemischen Ebene einer der Hauptgründe sein, der die AA wirksamer sein lässt als die kognitive Verhaltenstherapie.
Wie wirksam sind die Anonymen Alkoholiker AA und die Zwölf-Schritte-Förderprogramme (Twelve-Steps Facilitation oder TSF) zur Motivation an der Teilnahme an AA-Treffen?
Die Wirksamkeit der Kombination aus AA und TSF hat sich als hoch erwiesen. Darüber gibt dieser Artikel Auskunft; er basiert auf einer am 11. März 2020 veröffentlichten Pressemitteilung des IDW.
Anonyme Alkoholiker in Verbindung mit Zwölf-Schritte-Förderprogrammen – eine wirksame Verbindung für dauerhafte Abstinenz
AA sind von anderen, ebenfalls von Alkoholabhängigkeit Betroffenen geführte Gruppen zur gegenseitigen Hilfe. Die Internetseite der deutschen Anonymen Alkoholiker zeigt einiges über deren Arbeit.
- Zwölf-Schritte-Förderprogramme sind zumeist klinisch angeleitete Angebote, die mit einigen der Prinzipien und Techniken der AA arbeiten. Die Förderprogramme ermutigen Alkoholiker während des körperlichen Entzugs und auch dauerhaft zur Teilnahme an den AA-Sitzungen.
- Entscheidend ist es, dass die Trinker zum Durchhalten ermutigt werden.
- Für solche Förderprogramme gibt es ein Handbuch. Es beschreibt Standards, mit denen die Arbeit der AA unabhängig von Zeit und Ort vergleichbar laufen kann.
- Der Cochrane-Review vom 11.03.2020 befasst sich mit der Wirkung der Kombination von AA und TSF-Programmen auf die langfristige Abstinenz (bzw. auf die Verringerung des Alkoholkonsums – Kontrolliertes Trinken). In der Folge nimmt er auch die negativen Folgen von Alkoholmissbrauch wie die körperliche Gesundheit und familiäre wie berufliche Probleme in den Fokus. Mit zunehmender Abstinenz nehmen diese Folgen ab.
Die Autoren des Cochrane-Reports untersuchten zudem, ob und wie AA und TSF-Programme die Kosten der Gesundheitsversorgung im Vergleich zu anderen Behandlungen senken.
Cochrane-Review 2020 deutlich umfangreicher als Cochrane-Review von 2006
Der vorhergehende, 2006 veröffentlichte Cochrane-Review basierte auf den damals lediglich acht verfügbaren Studien mit insgesamt knapp 3500 teilnehmenden Alkoholikern. Sowohl Quantität als auch Qualität der Forschung haben sich seither deutlich erhöht.
- In diesem aktualisierten Cochrane-Review von März 2020 sind 27 Studien mit mehr als 10.000 Teilnehmern enthalten.
- Die in diesem Update enthaltenen Studien untersuchten eine Reihe von Programmen, die sich in ihrem Ansatz und ihrer Intensität unterschieden.
- Diese wurden mit anderen Behandlungsansätzen gegen Alkoholmissbrauch verglichen, z. B. mit der Kognitiven Verhaltenstherapie (CBT).
Evident höhere Raten kontinuierlicher Abstinenz mit AA und TSF über Monate und Jahre hinweg im Vergleich zu Kognitiven Verhaltenstherapie CBT
Zusammenfassung des Cochrane-Review:
- Evidenz von hoher Vertrauenswürdigkeit (nach GRADE-Schema, s.u.) für dauerhaft höhere Raten kontinuierlicher Abstinenz durch mit Handbuch durchgeführte, klinische Zwölf-Schritte-Förderprogramme zur höheren Teilnahme an AA-Treffen im Vergleich zu anderen aktiven Behandlungsansätzen (z. B. Kognitive Verhaltenstherapie, CBT).
- Die Evidenz legt nahe, dass 42 % der Teilnehmer an AA ein Jahr später vollständig abstinent blieben, verglichen mit 35 % der Teilnehmer, die andere Behandlungen einschließlich kognitiver Verhaltenstherapie erhielten.
- Dieser Effekt wurde vor allem dadurch erreicht, dass TSF-Programme die Teilnahme an AA dauerhaft (also auch über das Ende des Förderprogramms hinaus) fördern.
Bezogen auf die Verringerung des Alkoholkonsums, die negativen alkoholbedingten Folgen und den Schweregrad der Abhängigkeit schnitten Programme auf Basis der Anonymen Alkoholiker (AA) ähnlich gut ab wie die anderen Behandlungsansätze (geringe bis moderate Vertrauenswürdigkeit der Evidenz nach GRADE).
Es ist wichtig, dass klinische Programme und Ärzte auf eines der bewährten handbuchgestützten Programme zurückgreifen, um den Nutzen der Teilnahme an AA für ihre Patienten zu maximieren.
Co-Autor John F. Kelly, Ph.D., ABPP, Elizabeth R. Spallin Professor of Psychiatry in Addiction Medicine at Harvard Medical School und Direktor des Massachusetts General Hospital Recovery Research Institute, kommentiert die Ergebnisse des Reviews so: „Alkoholabhängigkeit ist für den Einzelnen und seine Familie beängstigend und stellt weltweit ein bedeutendes und kostspieliges Problem für die öffentliche Gesundheit dar. Die Anonymen Alkoholiker sind eine bekannte, kostenlose Gemeinschaft zur gegenseitigen Hilfe, die unseren Ergebnissen zufolge Betroffene wirklich bei der Genesung und der Verbesserung ihrer Lebensqualität unterstützt. Eine weitere wichtige Erkenntnis aus diesem Cochrane Review ist, dass es durchaus einen Unterschied macht, welche Art von Zwölf-Schritte-Förderprogrammen die Menschen erhalten: Besser organisierte und gut formulierte klinische Be-handlungen haben das beste Ergebnis. Mit anderen Worten, es ist wichtig, dass klinische Programme und Ärzte auf eines der bewährten handbuchgestützten Programme zurückgreifen, um den Nutzen der Teilnahme an AA für ihre Patienten zu maximieren.
Im Hinblick auf die Gesundheitskosten dürfte es die politischen Entscheidungsträger interessieren, dass vier der fünf von uns identifizierten relevanten Studien erhebliche Kosteneinsparungen für AA und damit verbundene klinische TSF-Programme zur Erhöhung der Teilnahme von AA zeigten. Das deutet darauf hin, dass diese Programme die Kosten für Gesundheitssysteme erheblich senken könnten.“
Was ist das GRADE-Schema – und wofür ist es wichtig?
GRADE ist ein international anerkanntes System zur Bewertung der Vertrauenswürdigkeit von Evidenz aus systematischen Übersichtsarbeiten. Es kennt vier Stufen der Vertrauenswürdigkeit:
- sehr niedrig
- niedrig
- moderat
- hoch
Mehr zum GRADE-Schema
Was ist Cochrane? (Organisation) – Hintergrund
Cochrane (Cochrane Collaboration) ist ein unabhängiges und weltweit aktives Netzwerk zur Förderung wissenschaftlicher Evidenz. Evidenz heißt, dass etwas als wissenschaftlich erwiesen angesehen werden kann. Eine evidente Tatsache kann in die Bewertung medizinischer oder anderweitig relevanter Fragestellungen aufgenommen werden. Deshalb ist eine möglichst hohe Evidenz wichtig für das Gesundheitssystem und die Wissenschaft.
Wer ist an Cochrain beteiligt?
An der Cochrane Collaboration beteiligen sich weltweit mehr als 79.000 Mitglieder und Unterstützer. Es arbeiten Wissenschaftler, Ärzte, Fachkräfte aus Gesundheitsfachberufen, aber auch Patienten mit.
Welche Ziele hat Cochrane?
Cochrane arbeitet für die Sicherheit vor allem bei Entscheidungen zu Gesundheitsfragen. Daher setzt das Netzwerk auf die Herstellung, die Sicherung und die Verbreitung relevanter und aktueller wissenschaftlicher Evidenz.
Wie arbeitet Cochrane?
Cochrane führt hochwertige systematische Übersichtsarbeiten und Metaanalysen durch. Metaanalysen sind große Studien, die ihrerseits bereits bestehende Studien untersuchen. Somit entsteht die Quintessenz aus einer bereits vorliegenden Studienlage. Dies hilft bei der Bewertung komplexer Sachverhalte.
Seit wann gibt es Cochrane?
1993 gründete Iain Chalmers die Cochrane Collaboration in Oxford.
Woher kommt der Name Cochrane?
Die Evidenz-Organisation wurde nach dem britischen Arzt und Epidemiologen Prof. Dr. Archie Cochrane benannt. Cochrane gilt als der Vater der Evidenz, der Begründer der evidenzbasierten Medizin. Mehr über Archibald Cochrane hier auf der Internetseite des US National Library of Medicine
Das Entscheidende am Cochrane-Review
Nur die Entscheidung zur Selbsthilfe und das Bestehen in der Selbsthilfe können zu guten Veränderungen führen. Alles Therapieren von außen mit der Idee, es würde von alleine im Innen wirken, ist eine teure Illusion.
Unkommentierte Originalpublikation (Basis für diesen Beitrag):
http://idw-online.de/de/news742972
Cochrane Deutschland Stiftung (CDS), Georg Rüschemeyer,
Kontaktdaten zum Absender der Original-Pressemitteilung stehen unter:
Cochrane Deutschland Stiftung (CDS)
[current_date]